Freitag, 23. Januar 2015

Torfstechen in der Nachkriegszeit. Knochenjob im Moor

Die Fakten
Tatort: Das Königsmoor/Weißes Moor/Ahemoor nahe Hagen i.Br.

Tatwerkzeuge: Torfspaten, Torfmesser, Schiebkarre, Bretter und Holzbohlen, Holzschuhe, Ackerwagen, Wasserkochtopf, Kaffeekanne, Steinkrug und Schnapsglas Tatzeit: Frühjahr bis Spätsommer 1945 wie schon seit 5000 Jahren
Täter: Vater und Mutter Augustin und drei kleine Kinder
Mittäter: Opa Holze, Opa Bäcker Möller, Onkel Schiko (Nikolaus) Diekmann und andere Onkels und Tanten.
Bei den sogenannten Onkels und Opas handelt es sich meistens nicht um Verwandte, sondern Nachbarn. Bei uns auf dem Dorf waren die älteren Männer und Frauen immer z.B. Opa Möller bzw. Oma Holze, die jüngeren z.B. Onkel Werner bzw. Tante Borchers. Alle duzten wir uns - bis auf den Pastor, die Lehrer und Rechtsanwälte.
Die Begleitumstände
Es waren sehr schlechte Zeiten, damals, im Krieg und kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges, aber noch vor der Währungsreform. Während das Gemüse, die Kartoffeln und der Tabak im eigenen kleinen Hausgarten angebaut wurden, mangelte es an Brennbarem für den Kohlenherd in der Küche und die Öfen im Haus. Und so taten meine Eltern das, was viele im Dorf machten - schon seit mehreren tausend Jahren vorher: Torfstechen. An einem Frühjahrsmorgen, in aller Herrgottsfrühe, machten sich mein Vater und sein Freund Schiko auf den Weg ins Moor. Auf einem kleinen Handwagen hatten sie das Handwerkszeug und die Wegzehrung verstaut, welches sie für die Arbeit im Moor benötigen würden. Einer zog den Handwagen, der andere schob die Schiebkarre. Der Weg ins Moor mochte wohl an die 45 Minuten dauern. Das Ziel war die von der Gemeindeverwaltung zur Verfügung gestellte Fläche im Königsmoor.
Meine Mutter, die später mit meinen beiden Brüdern und mir auf dem Fahrrad folgte, brachte dann das erste Frühstück mit Wurst und Schinken vom selbst geschlachteten Schwein. Wir fuhren tatsächlich nur auf einem Fahrrad: Mein jüngster Bruder saß in einem kleinen Korb, der an der Lenkstange befestigt war, ich saß auf einem Ledersattel vor meiner Mutter und mein älterer Bruder hinten auf dem Gepäckträger.
Die morgendliche Kühle wich schon bald der frühsommerlichen Wärme und machte die schwere körperliche Arbeit nicht leichter. Zunächst musste die obere Schicht, bestehend aus Wollgras und Heide abgehoben werden, bis man an die oberste Schicht Weißtorf kam, der aber nicht sehr brauchbar war, weil er keinen hohen Brennwert hatte. Die eigentliche Knochenarbeit folgte erst Stunden später, wenn nach dem Weiß- und dem Brauntorf der tief liegende Schwarztorf gestochen wurde, der einen hohen Brennwert hatte, etwa wie Braunkohle.
Die Technik
Die Erwachsenen schnitten das Torf aus dem Boden und brachten die Soden mit der Schubkarre zu einem planierten Stück Heide. Dort schichteten die Kinder
die Torfsoden zum Trocknen in sogenannte Torfbulten (Haufen). Zunächst wurden die klatschnassen und glitschigen Torfsoden auf dem Erdboden in einem Ring im Durchmesser von etwa einem Meter ausgelegt. Zwischen den einzelnen Soden sollte etwas Platz bleiben, damit der Wind hindurch pfeifen konnte und die Sonne von möglichst vielen Seiten herankam. Oft genug stürzte uns der Bulten wieder zusammen, und wir mussten von neuem beginnen.
Die in der Grube arbeitenden Männer buddelten sich immer tiefer in den Untergrund, und schon bald mussten sie sich Bretter unter ihre Holzschuhe schnallen, um nicht tiefer abzusacken. Wenn sie nicht aufpassten, stachen sie eine Wasserader an und der nahe liegende Graben lief leer und die Grube voll. Das passierte häufiger, und manches Mal auch nachts. Dann ging nichts mehr und eine neue Grube musste ausgeschachtet werden.
Freud und Leid
Während wir Kinder auf eine neue Fuhre warteten, erwachte der Jagdtrieb und wir fingen die sich in der Sonne wärmenden Eidechsen. Leider brach, wenn man sie in die Hände nahm, bei den meisten Eidechsen der Schwanz ab. Auch den Libellen und Spinnen hetzten wir hinterher.
Allergrößten Respekt hatten wir vor Kreuzottern, dem Sonnentau und den offenen Wasserflächen. Vor den Schlangen, weil deren Biss tödlich war, dem Sonnentau, weil uns gesagt wurde, dass es eine fleischfressende Pflanze sei und vor den offenen Wasserflächen, weil diese unter der schwarzbraunen Oberfläche schier grundlos tief schienen. Und doch bin ich einmal eingesackt und war im Nu in der braunen Brühe versunken, weil ich einer Libelle nachjagte.
Das Mittagsbrot in der warmen Sonne schmeckte dann allen recht gut. Die Großen tranken trotz der Wärme den heißen Malzkaffee, der auf brennendem Torf in dem Wasserkessel erhitzt wurde, und wir Kinder erhielten einen Schluck Milch aus der Flasche, die im Moorgraben gekühlt worden war. Besonders schön war es, wenn man sich nach dem Mittagessen in das Gras legen und in den Himmel schauen konnte, in den die Heidelerchen mit ihrem wunderschönen Getriller aufstiegen und sich dann wieder fallen ließen. Nachmittags gab es dann häufig auch ein Stück Butterkuchen. Erst gegen Abend, wenn viele Karren Torf gestochen und geschichtet worden waren, ging es heimwärts.
Widrige Umstände
Bei Sonnenschein und kräftigem Wind dauerte es nur wenige Tage, bis die äußere Schicht des Torfs soweit getrocknet war, bis wir sie umschichten konnten. Das musste im Laufe des Sommers mehrfach gemacht werden.
Wenn es ein sehr heißer Sommer war, konnte es passieren, dass das Moor durch Selbstentzündung zu brennen begann. Wir blieben zum Glück all die Jahre verschont, aber Bäcker Möllers fast trockener Torf wurde einmal bis auf einen Bulten vernichtet. Diesen durfte sich dann meine Mutter holen - und das mit dem Fahrrad! Jeweils zwei Säcke voll Torf konnte sie transportieren. Der Speicher, wir nannten ihn "Holzboden", war schon lange leer und wartete auf Nachschub für den Winter.
Irgendwann im August oder September war dann auch unser Torf trocken und mein Vater verhandelte mit Opa Holze, der ein Pferdefuhrwerk hatte, damit er den Torf zu uns nach Haus brachte. Opa Holze kam also im Moor an, und wir schafften von allen Seiten den nun trockenen Torf heran und warfen ihn auf den Wagen. Dieser musste für den Transport gewendet werden, was mit zwei Pferden davor gar nicht so einfach war. Und so trat prompt ein, was passieren musste: Opa Holzes Pferde schoben den voll beladenen Wagen in die Torfkuhle.
Da halfen kein Fluchen und keine Peitsche, die Pferde schafften es nicht. Der Wagen musste wieder entladen werden, alle kräftigen Helfer umklammerten die Speichen und drehten das Fuhrwerk langsam aus dem Morast. Nun mussten wir noch einmal von vorn beginnen. In solchen Situationen konnten die Männer schon einmal nach einem wilden Fluch einen kräftigen Schluck vom Selbstgebrannten aus der tönernen Schnapsflasche nehmen. Erntezeit und Erntedank
Aber irgendwie schafften wir es doch und die Fuhre erreichte in der Dämmerung das Ziel, den Platz vor unserem Speicher. Einige kletterten auf den Anhänger und warfen mit Schwung die Torfsoden durch die schmale Luke nach oben, wo andere sie auffingen und unter den Dachziegeln stapelten. Manch ein Stück Torf fiel daneben und wurde später noch einmal geworfen. Der trockene Torf staubte fürchterlich, alle Helfer waren in kurzer Zeit braun bis tiefschwarz.
Doch auch dieses Stück Arbeit endete, wir konnten uns nach einer Dusche unter dem Gartenschlauch am Abendbrottisch niederlassen und die wundervoll duftenden Bratkartoffeln mit Spiegelei und saurer Gurke genießen. Und wer weiterhin Appetit hatte, bekam auch noch einen Schlag Milchsuppe mit Rum-Aroma und Rosinen.

http://www.spiegel.de/einestages/torfstechen-in-der-nachkriegszeit-a-950192.html

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